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Der Meute geschäftstüchtiger Taxifahrer entronnen, organisieren wir uns ein Gefährt an die eine Stunde entfernte usbekische Grenze. Der Handel (Schmuggel) boomt, und auf dem quirligen Marktflecken diesseits der Grenze werden allerlei Waren von der Tomate bis zu chinesischen Anoraks von brüchigen Ständen und aus 30 Jahre alten sowjetischen PKW-Kofferräumen feilgeboten. Begleitet von aufdringlichen „Dienstleistern“ aller Art lassen wir unsere Pässe abstempeln. Auch der junge Murat rückt uns nicht von der Seite. „5000 Sum (umgerechnet 4 Dollar) und ich bringe euch nach Taschkent.“

Kurze Zeit später steuert er seinen koreanischen Kleinwagen durch die Schlaglöcher Richtung Hauptstadt. „Es ist alles nicht so leicht hier in Usbekistan. Es gibt zwar Arbeit, aber die ist miserabel bezahlt. Man kann davon einfach nicht leben.“ Murat taut schnell auf, fragt uns Persönliches und politisch Hochsensibles. „Was denkt man in Deutschland eigentlich über die blutigen Vorfälle in Andijan“, möchte er wissen. Allen sei klar, was dort passiert sei: Unschuldige und friedliche Bürger seien dort getötet worden. Viele hofften nun, dass das System vor der Unzufriedenheit nicht mehr die Augen verschließen könne. „Wir sind doch ein reiches Land mit allen erdenklichen Rohstoffen und tüchtigen Bürgern, warum aber leben wir so arm?“

Als wir von unseren Turkmenistan-Reiseplänen berichten, schüttelt er nur den Kopf. Dort sei alles noch schlimmer als hier. Das Königreich eines gestörten Mannes. Jeder würde dort jeden verraten, nur um selbst Nutzen daraus zu ziehen. Nein, die Solidarität zwischen den Menschen wie in Usbekistan gäbe es dort nicht.

Unsere Neugier auf das totalitäre Regime in der Wüste kann unser gesprächiger Taxifahrer nicht verstehen. Meine Reisegenossin Ivonne und ich blicken den Tagen in Turkmenistan mit Vorfreude und einem flauen Gefühl im Bauch gleichermaßen entgegen. Gerade jetzt, als wir mit Vollgas über die regennassen Boulevards Taschkents rasen.

 

Ashghabat Flughafen, 2 Uhr nachts. Junge, aber reichlich schlecht gelaunte Grenzbeamte begutachten die Reisepässe der verschlafenen Passagiere. Ohne zusätzliche Papiere, die die Rechtmäßigkeit des Hierseins belegen, und 10 Dollar „Einreisegebühr“, die man augenblicklich in die Turkmenbaschi-Bank einzahlen muss, läuft hier nichts. Gelangweilte Zöllner befehlen unsere Rucksäcke zu öffnen, nachdem diese bereits zweimal durchleuchtet wurden. Am Ausgang wartet bereits Jewgenij, um uns ins Hotel zu bringen.

Unterwegs zeigt er uns die Stadt, die zu einer Spielwiese für die städtebaulichen Träume des Präsidenten generiert ist. Enorme Paläste aus Marmor mit goldenen Kuppeln recken sich in den nebligen Nachthimmel. Scheinwerfer beleuchten die neuen Ministerialbauten, das Nationaltheater, wuchtige Denkmäler und Myriaden Präsidentenportraits. Ein ungeheurer Personenkult umgibt  Turkmenbaschi, den selbstherrlichen Führer der Turkmenen. Mit breitem Lächeln im Gesicht und protzigen Goldringen am Finger grüßt er lässig auf den Ellbogen gestützt seinem Volk zu. „Ein Volk, ein Vaterland, Turkmenbaschi“ steht es auf unzählige Häuser geschrieben, „Turkmenbaschi der Große weiß den Weg“ oder „Das 21.Jahrhundert ist das goldene Jahrhundert der Turkmenen“.

Der Russe Jewgenij fühlt sich trotz des zur Schau getragenen, von oben geförderten Nationalismus, trotz der totalitären Politik Turkmenbaschis, die jegliche Opposition unterdrückt, hier wohl. „Was soll ich sagen, das Leben ist ruhig hier, nicht so wie in Moskau, wo jeder seinem Glück hinterher läuft. Das hier ist der Orient, wo alles zu seiner Zeit geschieht. Wenn nicht heute, dann eben morgen“, sagt Jewgenij zufrieden. Weg möchte er hier nicht. Er verdiene ganz gut. Gas, Strom und Wasser seien gratis. Benzin koste weniger als Wüstensand. Und persönliche Anfeindungen habe er noch nicht erlebt. „Die Turkmenen haben eine typische Nomadenmentalität: Gastfreundlich, etwas faul und sie brauchen nicht viel zum Leben. Genau deshalb kommt man ganz gut mit ihnen aus.“

 

Am kommenden Morgen stehen wir auf dem Hauptplatz Ashghabats. Das Denkmal der Neutralität krönt eine goldene Präsidentenfigur, die sich entsprechend dem Sonnenstand bewegt. Soldaten und Polizisten patrouillieren an jeder Ecke. Unzählige Arbeiter putzen den Asphalt, die Marmorfliesen, sammeln Müll oder pflegen die Blumenrabatten. Vom turkmenischen Volk allerdings kaum eine Spur. Nur hin und wieder lassen sich einzelne Grüppchen vor der imposanten Kulisse des Platzes fotografieren.

Einige Schritte weiter ein Lebensmittelgeschäft. Das schmale Warensortiment wird überblickt vom Präsidenten in Lebensgröße. Neben einem eindrucksvollen Regal mit Türkmen Cola locken mit dem Führerportrait geschmückte Spirituosen. Fürs schmackhafte Frühstück steht sogar Turkmenbaschi-Haferschleim bereit.

An der nächsten Ecke befindet sich das größte Büchergeschäft der Hauptstadt. Unvermeidlich stößt man hier auf Ruhnama, das heilige Buch des Turkmenen. Der Präsident sieht in ihm eine Leitlinie für die turkmenische Sittlichkeit, beschreibt in ihm turkmenische Geschichte und Werte. Für die Bürger des Landes ist es zur Pflichtlektüre geworden, ohne die sie weder studieren können noch eine Arbeitsstelle erhalten. Ausgaben des monströsen Werkes in mehreren Dutzend Sprachen warten auf Käufer. Auch das zweite Buch der Ruhnama ist vor kurzem erschienen, und bereits auf Deutsch und Englisch erhältlich. „Echte“ Literatur ist hier Mangelware und stammt meist noch aus Sowjetzeiten. Doch in den verstaubten Regalen am Rande lässt sich dennoch so manches Buch für den geneigten Leser finden, abseits der Präsidentenpropaganda.

 

Anar gehört zum wie überall in der Welt sehr gesprächigen Volk der Taxifahrer. Bei traditioneller turkmenischer Musik in voller Lautstärke fährt er uns zum Tolkuchka-Basar, wo samstags und sonntags die Waren für die Hauptstadt umgeschlagen werden. „In Turkmenistan herrscht Stabilität, das ist das wichtigste. Die Kriminalitätsrate ist gering. Selbst spät nachts kann man überall spazieren gehen, ohne Angst zu haben“, berichtet er. Das sei es, was die Leute hier bräuchten, die Sicherheit, und natürlich kostenloses Gas und Wasser, günstige Wohnungspreise. Zwar seien die Einkommen hier sehr niedrig, aber man könne davon auch leben. Und auch Pensionäre erhielten ihre Rente regelmäßig und frei Haus gezahlt. „Die meisten Leute leben hier sehr zufrieden, auch wenn es früher zu Sowjetzeiten besser war. 50 Rubel und flieg wohin du willst.“

Heute werden zwar die Spritpreise stark subventioniert, für einen Euro kann man ungefähr 70 Liter Normalbenzin tanken, aber für eine Ausreise braucht jeder Bürger des Landes ein Visum. Glücklich können sich nur jene schätzen, die rechtzeitig die zweifache (turkmenische und russische) Staatsbürgerschaft erhalten haben.

An den letzen Ausläufern der Stadt vor der Wüste halten wir an. Hier trifft sich am Wochenende halb Ashghabat, um sich mit Waren des täglichen Gebrauchs, Lebensmitteln, Teppichen und Kleidung made in Turkey oder China einzudecken. Frauen mit langen Zöpfen in traditionellen Gewändern schlendern durch die Basarzeilen. Händler halten nach Käufern Ausschau, rauchen oder spielen Karten. Lastträger brüllen sich den Weg frei. Von allen Ecken dröhnt Popmusik und strömt der Geruch frisch gegrillten Fleisches. Erschöpft von der Hektik des Geschehens genehmigen wir uns in einer Garküche eine fettige Suppe aus Gemüse und Nudeln. Hier ist nichts zu spüren vom repressiven Charakter des Regimes, von dessen Kompromisslosigkeit und Härte. Es wird nach anderen Regeln gehandelt, getauscht, geworben und gekauft. Der Basar braucht keine Autorität, er ist die Autorität in sich.

Zwei Tage später sitzen wir inmitten der menschenleeren Karakum-Wüste, 350 km nördlich von Ashghabat, in einer Teestube. Trucker, Händler und die wenigen Einheimischen machen hier dutzende Kilometer von irgendwo Halt, um neue Kräfte zu sammeln. In großen Töpfen kocht Dahghrama, die turkmenische Nationalspeise, eine Suppe aus gekochtem Kamelfleisch. Am Nachbartisch sitzt ein Greis mit weißem Bart und der typischen hohen Mütze aus Schafsfell. Gegenüber eine Gruppe usbekischer Händler auf dem Weg in die Hauptstadt. Mit viel Wodka spülen sie ihr Abendmahl herunter. Wie gebannt schauen alle auf den Fernseher in der Ecke. Amerikanische Autobastler motzen dort abgewrackte Wagen hysterischer Teenager auf: MTV erreicht heute dank Satellit auch den letzten Winkel der Erde.

Auf der Suche nach einer Toilette trete ich nach draußen. Ein Generator dröhnt, sonst ist es still. Über die Wüste hat sich eine eiskalte Winternacht gelegt. Vorbei an den beiden Jurten, die als Herberge dienen, laufe ich ein Stück durch den Sand. Hinter der nächsten Düne leuchtet aus der Ferne der berühmte Gaskrater von Darvaza. In den 70er Jahren war es dort während geologischer Untersuchungen zu einer enormen Explosion gekommen. Aus dem riesigen Krater strömt auch heute noch Gas aus, das entflammt kilometerweit sichtbar ist.

 

Am nächsten Morgen setzen wir unseren Weg fort. Fast unwirklich liegt die Karakum im Nebel. Keine Spur von der brütenden Hitze des Sommers, wenn es hier bis zu 50 Grad heiß werden kann. Heute herrscht Frost und es kündigt sich sogar etwas Niederschlag an. Verloren stehen alle paar Kilometer Gruppen von Kamelen im Nichts. Ein Anzeichen dafür, dass es auch hier noch menschliche Siedlungen gibt. Der Asphalt wird zunehmend löchriger und schmaler. Wir weichen entgegen kommenden LKWs aus. Sie befördern Obst und Gemüse aus dem fruchtbaren Norden nach Ashghabat. Wenige Kilometer nach den letzten spärlich bewachsenen Sanddünen tauchen dann sogar Reisfelder auf. Die Ursache für das Unglück des verschwindenden Aralsees wird hier sichtbar.

Über den zerfallenen Dörfern prangen dieselben Parolen wie in der glänzenden Hauptstadt. Ebenso über den Sammelstellen für das zweite wichtige Exportgut Turkmenistans: die Baumwolle. In riesigen kegelförmigen Gebilden liegt sie hier aufgeschüttet. „Baumwolle ist der Reichtum des Volkes“, weiß auch das Präsidentenzitat am Eingang zu berichten. Doch ein Großteil der Leute ist hier arbeitslos, und die Landwirtschaft wirft kaum genug ab, um eine Familie zu ernähren. Auf dem Weg zur usbekischen Grenze bei Dashoghuz werden wir alle fünf Minuten an Polizeiposten  gewunken. Die jungen Diensthabenden sind meist Wehrdienstleistende ohne Ausbildung, und wissen gar nicht so recht, was sie tun sollen. Sie fragen nach den Pässen, werfen einen kurzen Blick darauf und lassen uns fahren.

Dashoghuz wirkt schon auf den ersten Blick wie eine Provinzstadt. Die breiten Straßen und düsteren Plattenbauten – ein Erbe der Sowjetzeit. Die wuchtigen Denkmäler in den Parks das Werk Turkmensbaschis. Die turkmenische Propagandamaschinerie arbeitet auch hier, wo die Mehrheit der Bevölkerung Usbeken sind.

Sonst passiert hier nicht viel. Baumwollverarbeitung, Opiumschmuggel von jenseits der Grenze, Benzinschmuggel nach drüben. Der Grenzübergang wirkt hingegen verlassen. Nur wenige Wagen säumen die Einfahrt zum Zoll. Die Aus- und Einreise ist streng reglementiert. Nur selten bekommen Usbeken das Recht, ihre Verwandten auf der anderen Seite zu besuchen. Durch den Menschenpulk am Tor bahne ich mir meinen Weg. Über der Forte grüßt zum letzten Mal der Präsident.