Zentralasien/ Kaukasien       

 

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Am Bahnhof das übliche Treiben. Der Passagierzug von Almaty ans Kaspische Meer, auf die Halbinsel Mangyschlak, steht bereit. Knappe drei Tage wird er durch die Steppen und Wüsten Süd- und Westkasachstans dorthin unterwegs sein. Riesige karierte Plastiktaschen werden auf dem Bahnsteig herumgewuchtet, mit den Schaffnern verhandelt, gefeilscht und schließlich verladen. Beleibte Frauen verkaufen Reiseproviant. Dazwischen Familien, die ihre Liebsten verabschieden und Bahnpersonal. Im Waggon herrscht bereits große Hitze. Alte Frauen mit Kopftuch sitzen auf ihren Pritschen, daneben junge Burschen in legerer Reisebekleidung (Trainingshose und Badelatschen), die sich den Schweiß aus dem Gesicht wischen. Und die modernen Handelsreisenden: Männer und Frauen mit ganzen Bergen chinesischer Billigartikel im Gepäck. Auch sehnsüchtig nach draußen schauende Alleinreisende gehören zu den Passagieren. Ein letztes Winken, der Zug fährt an.

Am nächsten Morgen verschlingt die endlose, leicht hügelige Steppe den Blick des Reisenden. Nur vereinzelt stehen kleine Ortschaften in der Weite. Hin und wieder Hirten mit ihren Schaf- und Rinderherden. Am Bahndamm zeigen sich die ersten Frühblüher. Nur alle paar Stunden hält der Zug an den seltenen größeren Stationen. So schnell wie diese aus der Menschenleere auftauchen verlieren sie sich auch wieder im Sande. Und wieder schaukelt der Zug einsam durch Nichts. Dann ziehen auch wir unsere Taschen aus dem Gepäckfach. Turkestan naht. Eine Kleinstadt mit großer Geschichte. Hier befand sich das alte Jassy, Heimat des berühmten Sufi-Scheichs Hodscha Achmed Jassaui und später Sitz der kasachischen Khane. 

Schon am Bahnhof reges Treiben. Das Geschrei der fliegenden Händler mischt sich mit Schaschlyk-Geruch. Die wärmende Sonne mit dem kühlen Wind, der den Sand der umliegenden Halbwüsten und Steppen heranträgt. Die Illusion der alten Seidenstraße taucht unvermindert auf. Ganze Scharen von Taxifahrern bieten ihre Dienste an. Mit dem preiswerteren Kleinbus machen wir uns auf zum Mausoleum des Achmed Jassaui, dem wichtigsten Bauwerk der Timuridenzeit in Kasachstan. Vorbei am Basar und den niedrigen Häusern der Stadt, unter dem stahlblauen Frühlingshimmel.

Wie überall herrscht auch hier Gedränge. Jugendliche, Touristen und Pilger, muslimische Traditionalisten und Familien nutzen den Sonntag für einen Ausflug hierher. Angeblich entbinden drei Reisen zum Mausoleum des Achmed Jassaui einen Moslem von der großen Hadsch nach Mekka. Der große Geistliche Jassaui hatte den Islam dem Volk näher gebracht und ihn damit weiter verbreitet. Seine Werke verfasste er statt in Persisch in Chagataisch, der Sprache der Türken Zentralasiens. Noch heute werden seine Lehren hoch geschätzt und das Gedenken an ihn in Ehre gehalten.

Das blau bekuppelte Mausoleum ist erfüllt von Stimmengewirr der Besucher. Um die religiösen Orte bilden sich Menschentrauben. Geistige sprechen Gebete. Doch nicht nur im Glauben der Leute hat dieser Ort eine besondere Stellung. Auch für das historische Gedächtnis, für die kasachische Identität hat Turkestan eine besondere Funktion. Vom 16.Jahrhundert an galt das alte Jassy als Sitz der kasachischen Khane. Viele bedeutende Herrscher und Führerpersönlichkeiten der kasachischen Geschichte liegen hier begraben. Das Mausoleum wird dadurch zu einem Kristallisationspunkt von Geschichte und Religion und zu einem Symbol für die heutige kasachstanische Staatlichkeit.

Das geschäftige Gegenstück zum geistigen Zentrum um den Gebäudekomplex des Mausoleums bildet der zentrale Basar. Staubige Gassen werden von frisch grünen Maulbeerbäumen beschattet. Am Straßenrand stehen Frauen mit Kopftuch und verlaufen Kräuter aus riesigen Säcken. Handwerker reparieren buchstäblich jedes technische Gerät. Aus einem runden Lehmofen wird duftendes Fladenbrot ans Tageslicht befördert. Alte bitten um Almosen. Ein Schwarm Spatzen streitet sich um Schaschlyk-Reste. Daneben Gemüsestände, wo die ersten Früchte des anbrechenden Jahres angeboten werden. Faustgroße Radieschen, lehmige Möhren und Frühkartoffeln aus Usbekistan. Alles wird durchdrungen vom Rauch der Fleischbratereien. Lammspieße sind hier Grundnahrungsmittel. Ganz im Geiste der alten Seidenstraße finden sich auch hier allerorten chinesische Textilien und türkische Haushaltswaren, russische Lebensmittel und iranisches Geschirr. In Turkestan treffen sich Kaukasus und Kaschgarien, vorderer Orient und ferner Osten.