Zentralasien/ Kaukasien       

 

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Als ich aufwache unter uns schneebedeckte Gipfel, das Grenzgebiet zwischen China und der Mongolei. Wie eine natürliche Grenze trennen hier Gletscher, Eis und Schnee diese dünn bevölkerten Landstriche. Dann die Berge des mongolischen Altai. Unbewaldet und kahl. Monotone Steppe und die Schatten der Wolken, die darüber streichen. Beim Landeanflug tauchen in einem Flusstal die ersten Jurten auf. Wie auf einer Kette ziehen sich die Filzhäusersiedlungen bis hoch an die Quelle. Die Passagiere zieht es ans Fenster. Rege Diskussionen. Die Vorfreude auf zu Hause liegt praktisch in der Luft. Dann nähert sich die Maschine den staubigen Bergen, immer tiefer sinkt sie in eine Ebene hinab bis sie schließlich auf der unasphaltierten Piste aufsetzt.

Der Blick aus dem Flughafengebäude ist ein trostloser. Endlose baumlose Weiten. Am Horizont eine winziger Punkt, vermutlich ein Geländewagen, der eine Staubwolke hinter sich her zieht. Taxis in die Stadt gibt es keine und ich frage herum. Mit einem alten UAZ-Bus fahre ich über Buckelpisten ins Zentrum. Ölgiy ist ein Provinzzentrum mit gut 20000 Einwohnern, ein Marktflecken mit Regierungsgebäuden, Post und Restaurants. In die Hauptstadt Ulaan Baatar sind es etwa 1800 km, vielleicht mehr, zwischen fünf und sieben Tagesreisen in überfüllten Sammeltaxis. Dementsprechend isoliert hat sich hier eine kasachische Minderheit gehalten. Es waren einmal 200000 in der Provinz, die Hälfte ist geblieben, die anderen bereits nach Kasachstan ausgewandert. In den 1990ern kamen viele desillusioniert zurück. In der historischen Heimat ist die Geschichte nicht spurlos weiter gezogen. Der russische Einfluss war dort besonders stark, die sowjetische Periode hat aus Nomaden Sesshafte und Stadtbewohner gemacht. In der Mongolei hingegen hat sich eine Lebensform mit all ihren Aspekten erhalten, wie man sie in Kasachstan nicht mehr findet.

220 km südlich von Ölgiy lebt Suragan, seine Frau und Kinder in einem satt grünen Tal in Sichtweite der chinesischen Grenze. Jeden Juni ziehen sie mit ihren Herden hierher auf die Sommerweiden. Bis zum Herbst leben sie in drei Jurten vor der Bergkulisse des Altai wie noch vor 100 Jahren. Geheizt und gekocht wird mit getrocknetem Dung auf einem Kanonenofen in der Mitte des Filzzeltes. Grundnahrungsmittel ist Dörrfleisch, erst später im Jahr beginnt die Schlachtesaison, und Milchprodukte wie Trockenkäse, Joghurt und Butter. Obst und Gemüse sind Mangelware. Als Vorboten der sesshaften Zivilisation haben sich lediglich tragbare Solaranlagen, Satellitenfernsehen und DVD-Player durchgesetzt.

„Ich möchte hier nicht weg“, sagt Suragan, Vater von sieben Kindern und mehrfacher Großvater. Er ist verwurzelt in diesem Land, in der Natur dieser Berge, kennt hier jeden Quadratmeter. Wie ein Falke sitzt er da mit seiner Flinte und mustert mit dem Fernglas die Umgebung. Doch der Trend hält an: Noch immer emigrieren Kasachen von hier in die neue Heimat. Es locken Wohlstand und bessere Lebensbedingungen, denn Kasachstan ist auf dem Sprung nach vorn. Reiche Bodenschätze sind der Motor für das wirtschaftliche Wachstum. Besonders für viele junge Leute gilt Kasachstan als Verheißung, und sie begeben sich zum Studium und auf der Suche nach Arbeit dorthin. „Eine Tochter und ein Sohn leben schon in Kasachstan“, muss Suragan zugeben.

Das Nomadenleben ist schwer. Mehrhundertköpfige Schaf- und Ziegenherden, dazu Rinder, Yaks, Pferde und Kamele sind die Grundlage des bescheidenen Lebensstandards. Mit deren Fruchtbarkeit und Wohlergehen steigt und sinkt der Stern einer jeden Familie. Und das in einem Land in dem acht Monate Winter herrscht, 45 Grad Minus im Winter keine Seltenheit sind und Wölfe alljährlich den Viehbestand dezimieren.

Am letzten Abend in den Bergen sitze ich mit Myrsabek, Suragans ältesten Sohn, unter dem einzigen Baum des Tals im Abendlicht. „Wie kann man unser Leben verbessern, was können wir tun“, fragt er mich. Wo sei das Leben besser. Ich weiß, auf was er hinaus will und denke an Kasachstan. Aber in meinem Gedächtnis ziehen die Bilder der Tage vorbei und ich wage es nicht, zu sprechen. Wenn alle gehen, bleibt nur Land zurück, aber die Kultur der mongolischen Kasachen geht dann für immer verloren.