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Das Salz des Lebens am Kaspischen Meer



In Aserbaidshan, dem ölreichen Land jenseits des Kaukasus, leben manche wie Gott auf dieser Welt, andere nicht mal wie Menschen.


»Von Horizont zu Horizont jagen die schaumgekrönten Wellen, Heerscharen gleich. Über mir spricht das Kaspische Meer die Sprache der Winde. Tosend empört es sich. Wer hat behauptet, ein elender Teich, ein totes Gewässer sei das Kaspische Meer? Endlos, uferlos, salzig ist das Kaspische Meer! Auf ihm sind Freunde, auf ihm sind Feinde.«
Nazim Hikmet

In Baku, der Hauptstadt Aserbaidshans, meint man die Worte des großen türkischen Poeten Nazim Hikmet gleichsam auf der Haut zu spüren. Nahezu ständig weht es kräftig über Straßen, Boulevards und Plätze der Zwei-Millionen-Metropole, die eben deshalb den Beinamen »Stadt der Winde« trägt.
Mit Samir Tagiyew spaziere ich die Uferpromenade entlang, die sich breit und einladend vor der Kulisse der Prachtbauten aus der Zeit des ersten Ölbooms erstreckt. An der Flaniermeile sitzen Liebespaare in der Sonne, Imbiss- und Eisverkäufer machen ihr Tagesgeschäft. Die Begleitung durch Samir verdanke ich einem glücklichen Zufall. Elmira Suleymanowa vom Zentrum für Entwicklung und Demokratie hatte ihn lediglich gebeten, mich vom Flughafen abzuholen. Doch orientalische Gastfreundschaft gebietet mehr. So kam ich bei seinen Freunden unter.

Das Öl - Chance oder Verderben?

»Das ist doch selbstverständlich«, sagt Samir jedes Mal, wenn ich mich bedanke. Neben seinem Anglistik-Studium engagiert sich der 21-Jährige in der Menschenrechts- und Demokratiebewegung Aserbaidshans. »Korruption, sozialer Niedergang und schwerfällige Bürokratie lassen die Bevölkerung nicht gerade optimistisch in die Zukunft blicken«, weiß Samir. »Viele haben den Glauben an die Politik verloren, ihrer demokratischen Rechte sind sie sich vielfach nicht bewusst.« Aber auch er glaubt: »Aserbaidshan hat bessere Aussichten auf einen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufschwung als jede andere der drei Kaukasusrepubliken.« Es ist in dieser Region fast ein geflügeltes Wort: »Georgien hat Schewardnardse, Armenien seine Lobby im Ausland und Aserbaidshan das Öl.«
Hinter Bibiheybat, einem Vorort von Baku, zieht sich ein Heer von Fördertürmen und -pumpen bis zum Horizont. Müll und Blech, Autowracks und faulende Melonenschalen liegen herum, der Boden ist von Öl vergiftet. Außer den wippenden Förder-
hähnen regt sich nichts. Jeder Schritt wirbelt Staub auf, der sich mit penetrant stinkenden Öldämpfen mischt.
Schon seit uralter Zeit waren auf der Apscheron-Halbinsel Orte bekannt, an denen Erdöl an die Oberfläche trat und ganze Seen bildete, während ausströmendes Gas natürliche Feuer nährte. Der Zoroastrismus, die Lehre Zarathustras, die sich hier entwickelte und den Sieg des Lichtreiches über die Macht der Finsternis verhieß, betrachtete diese Orte als heilige Stätten göttlicher Macht.
Ausgebeutet wurden die riesigen Erdölvorräte aber erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Privatisierung des Ölgeschäfts durch den russischen Staat 1872 führte zum ersten Boom, an dem sich viele bekannte Großindustrielle jener Zeit eine goldene Nase verdienten. Anfang des 20. Jahrhunderts lieferte Baku mehr als die Hälfte der Weltfördermenge, nirgends im russischen Reich war der Anteil des Industrieproletariats an der Bevölkerung so groß wie hier, Stalin schärfte sich hier seine Zähne als Propagandist.
Seit in den 80er Jahren in der Kaspi-Region weitere Gas- und Ölvorkommen ermittelt wurden, lockt erneut ein Jahrhundertgeschäft, an dem nicht nur die fünf Anrainerstaaten des weltgrößten Binnensees (oder ist es ein Meer? – Im Streit um die Rohstoffe ist das eine entscheidende Frage!) profitieren wollen. Der Westen mischt kräftig mit. Pipeline-Pläne werden ent- und wieder verworfen, Verträge unterzeichnet, militärische Konflikte geschürt, um die eigene Position zu stärken. Für Aserbaidshan kann das Öl zur Chance, aber auch zum Verderben werden.
250 Kilometer südlich von Baku, in einem ehemaligen Sanatorium im Talish-Gebirge, leben 24 Flüchtlingsfamilien aus Nagorny Karabach, dem früher autonomen Gebiet, das 25 Prozent des aserbaidshanischen Territoriums ausmacht, heute jedoch von armenischen Truppen beherrscht wird. Über eine Brücke, unter der Abwässer durch Müll sickern, nähern wir uns den kleinen Bungalows, in denen sich einst Kurgäste erholten. Gulnas Alter ist schwer zu schätzen. Seit neun Jahren wohnt die alleinstehende Mutter mit ihren zwei Söhnen, zehn und zwölf Jahre alt, und der 14-jährigen Tochter in einer solchen Notunterkunft, in der Plastikfolie fehlende Fensterscheiben ersetzt. »Hilfe erhalten wir nur sporadisch: alle zwei Monate einen Sack Mehl und etwas Zucker. Umgerechnet 20 Dollar Rente im Monat reichen da nicht aus.«
Die Frau sehnt sich nach der Heimat, nach Karabach. »Wir hatten ein großes Grundstück mit Haus, Garten und Banja. Es fehlte an nichts. Nie hätten wir gedacht, einmal so leben zu müssen.« Gulnas weiß keinen Ausweg. »Mein Bruder wohnt in Baku, ein anderer in Riga. Gern würde ich sie besuchen, aber wie? Meine Tochter ist Klassenbeste, ich würde sie gern zum Studium schicken, doch woher das Geld nehmen? Für mich brauche ich nichts, nur meine Kinder sollen nicht unter diesen Bedingungen aufwachsen müssen.« Im Winter herrsche oft Stromsperre, Gas zum Heizen gebe es nicht, mit Wasser müssen sich die Flüchtlinge am Gemeinschaftshahn versorgen.

Verbotenes Treiben im geschundenen Wald

Schuld an der Misere seien die Regierungen – die armenische ebenso wie die aserbaidshanische. Was könnten einfache Leute schon tun? Auch die Armenier hätten den Krieg gewiss nicht gewollt. »Welche Mutter will ihren Sohn im Krieg sterben sehen?« fragt Gulnas und setzt fort: »Manchmal, wenn ich die Augen schließe, sehe ich unser altes Haus, unseren Reichtum, wie zufrieden wir lebten. Dann aber kommt die Ernüchterung: Warum bin ich hier, was mache ich hier?« Manche lebten wie Gott auf dieser Welt, andere nicht einmal wie Menschen.
Auf einer lehmigen Piste verlasse ich das Dorf. Ein Mann mit schwer beladenem Esel kommt mir entgegen, er hat Holz für den Winter gemacht. Hinter der Siedlung ist vom einst dichten Bewuchs nicht viel geblieben. Weiter entfernt sieht es kaum besser aus. Baumstümpfe, Sägengeheul, Frauen und Männer bei der Arbeit.
»In der DDR habe ich gedient, 1983 bis 85 Stendal, Gardelegen«, erzählt einer. Und zu Hause? »Drei Betriebe gab es in Lenkoran, der Sowchos sorgte für Beschäftigung. Doch die sind längst geschlossen. Arbeit gibt es hier nicht.« Natürlich sei es nicht gut, wenn jeder unkontrolliert Holz schlage, aber wie sonst solle man überleben? Fort wolle er, am besten weit fort, nach Deutschland zum Beispiel.
Gegen die Flüchtlinge unten im Sanatorium habe er nichts. »Aber sie leben besser als wir, die Ortsansässigen. Sie haben ihre Häuser und bekommen Unterstützung vom Staat.« Er dagegen wohne noch immer bei seinem Vater, zum Hausbau für sich, seine Frau und zwei Kinder reiche es nicht. Ein anderer Waldarbeiter mit der Motorsäge im Anschlag fragt mich später, ob ich Autos gesehen hätte, eine Kontrollkommission von der lokalen Verwaltung sei angekündigt. In der ganzen Region sei der Holzeinschlag verboten worden, erzählt er, nachdem er mich ans Feuer zum Tee gebeten hat. »In den vergangenen Jahren habe ich 15 Wagenladungen gefällt und verkauft, doch jetzt ist das nicht mehr möglich.«
Überhaupt ist alles schlecht. Keine Arbeit.« Auch als es die Sowjetunion noch gab, hätten manche Menschen ärmlich gelebt, doch ihm selbst sei es gut gegangen. »Heute ist es umgekehrt.« Dabei besitze er gottgegebene Hände. Fortgehen würde auch er gern, doch mit Frau und Kindern? Seine Frau, die still neben uns saß, räumt die Teegläser weg. Ich wünsche den beiden viel Glück und lobe die Gastfreundschaft als Reichtum der Kultur. »Davon können wir uns auch nichts kaufen!«
Im Nachtzug Baku-Tbilissi sitzt mir ein kräftiger Herr mittleren Alters gegenüber. Offizier sei er, seit fast zehn Jahren. Mutter Russin, Vater Aseri. An der georgischen Grenze diene er, Frau und zwei Kinder seien dort. »50000 Manat bekomme ich monatlich, rund 100 Dollar, davon gehen 30 für die Miete drauf, der Rest reicht gerade für Lebensmittel.« Freimütig gibt er Auskunft, nachdem er mich gefragt hat, wie viel wohl ein Bundeswehroffizier verdiene.
Für ihn ist der Fall Karabach klar: »Selbstverständlich sind die Armenier Okkupanten. Oder wie würdest du das nennen?« Ohne Unterstützung durch Iran, die USA, Frankreich und Russland hätte Armenien längst aufgeben müssen. »Uns bleibt als Großer Bruder die Türkei.« Präsident Heidar Alijew, der Aserbaid-
shan mit harter Hand regiert, sei zwar nicht besonders populär, aber im Ausland bekannt und geschätzt. Seit Alijew jedoch zwischen Ankara und Baku pendle, um Konsultationen zu führen, habe sich sein Gesundheitszustand Besorgnis erregend verschlechtert. Mehr als zwei Jahre gäbe er – der Offizier – Alijew nicht mehr. »Was danach kommt, weiß niemand ...«

 

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