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Genossendämmerung - Der Pik Lenin heißt nun Pik Unabhängigkeit oder Pik Hoher Berg


Die revolutionär geweihten Gipfel des Pamir-Gebirges erhalten neue Namen. So erging's vor zehn Jahren schon dem Pik Kommunismus, dem einst höchsten Berg der Sowjetunion.



Nationale Symbole entstehen manchmal sogar von den Bewohnern des betreffenden Landes unbemerkt. Als die seit 1991 unabhängige zentralasiatische Gebirgsrepublik Tadschikistan an Chinas Westflanke 1997 aus fünf Jahren blutigen Bürgerkriegs erwachte, bestand Nachholbedarf in Sachen Nationenbildung. Per Präsidentendekret wurde 1999 der höchste Gipfel des Landes, einst als gewaltigstes Bergmassiv der Sowjetunion unter dem Namen Pik Kommunismus jedem Schulkind bekannt, in Pik Somoni umbenannt. Diesen Namen des mittelalterlichen Emirs einer persischen Herrscherdynastie, in offizieller Lesart Begründer der tadschikischen Staatlichkeit, kannte kaum jemand.

Die Umbenennungen je nach politischer Lage dauern an. "Für mich heißt Pik Lenin wie gehabt Pik Lenin", sagt Ernar Alimow trotzig. Der 32-Jährige hütet im tadschikisch-kirgisischen Grenzgebiet seine auf verdorrten Herbstweiden grasende Schafs- und Ziegenherde. Er habe gehört, grummelt Ernar, dass die Tadschiken den 7134 Meter hohen Berg in Pik Istiklolijat, also Pik Unabhängigkeit, umbenannt haben. "Völliger Unsinn!"

Für den 1928 von deutschen Alpinisten erstmals bestiegenen Berg an der tadschikisch-kirgisischen Grenze ergibt sich eine paradoxe Situation. Während Tadschikistan ihn für seine staatliche Souveränität reklamiert, kursiert in Kirgistan bereits seit längerem die inoffizielle Bezeichnung Pik Tschong-Too - "hoher Berg". Die Langlebigkeit von Pik Lenin im Sprachgebrauch der Einheimischen beiderseits der Grenze tut ihr übriges, um die Verwirrung perfekt zu machen.

"Einst bildeten Pik Lenin und Pik Kommunismus topografische Verkörperungen einer als überlegen geltenden Gesellschaftsordnung", erklärt Sergej Suprunenko vom Institut für Geographie der Russischen Akademie der Wissenschaften. Die beiden Siebentausender waren als höchste Berge der Sowjetunion dazu prädestiniert, die Ideologie des herrschenden Systems und ihrer führenden Denker im Namen zu tragen.

Nodir Odilow kann sich noch an Zeiten erinnern, als die höchsten Gipfel der Sowjetunion nicht revolutionär geweiht waren. Der 86-Jährige verbrachte seine Kindheit in einem Dorf im Wanschtal am Fuße des höchsten Berges weit und breit. "Us-Tergi" wurde der Pik Kommunismus damals genannt. "Das heißt wörtlich: ,Es dreht sich der Kopf'", sagt Odilow lächelnd.

Erst 1928 gab der Münchner Vermesser Sebastian Finsterwalder als erster die Höhe des geheimnisvollen Bergs mit 7495 Metern an. 1933 bestiegen sowjetische Alpinisten erstmals den Gipfel und nannten ihn - dem Zeitgeist entsprechend - Pik Stalin. Während der Abrechnung mit dem Personenkult Stalins verschwand 1962 auch der Titel zugunsten von Pik Kommunismus von den Landkarten.

"Selbstverständlich haben unabhängige Staaten das Recht, die wichtigsten Landmarken nach ihren Vorstellungen zu benennen", findet Suprunenko. Aber wie Vergangenheit und Gegenwart zeige, seien Namen vergänglich oder eben nachhaltiger, als man glauben möchte. Das 6723 und 6510 Meter hohe Doppelmassiv von Pik Marx und Pik Engels reckt sich beispielsweise bisher von jeglichen Umbenennungen unangetastet bis in die Wolken.

Erschienen in 'Märkische Allgemeine Zeitung', 07.November 2008