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Unterwegs im Land des Sonnenkönigs
Präsident Saparmurat Nijasow lässt sich als Gott verehren und regiert
Turkmenistan mit harter Hand. Gleichzeitig stellt er seine Untertanen mit
kostenloser Gas- und Stromversorgung zufrieden.
Aschgabat.
Zwei Uhr nachts. Die breite Magistrale vom Aschgabater Flughafen ins Zentrum ist
wie leer gefegt. Hunderte von Scheinwerfern erhellen die Zentren der Macht. Von
Soldaten bewachte Ministerien und Paläste mit goldenen Kuppeln ragen in den
nebligen Nachthimmel. Schulen und andere öffentliche Bauten aus weißem Marmor
säumen den Straßenrand. Ganze Stadtviertel wurden planiert, um für riesige
Parks, wuchtige Denkmäler und luxuriöse Wohnblocks Platz zu schaffen. Über das
Schicksal jener, die auf diese Weise ihr Heim verloren haben, existieren nur
Spekulationen.
Transparenz ist nicht gerade eine Leidenschaft von Saparmurat Nijasow, der sein
Land mit uneingeschränkter Macht regiert. Das Präsidentenwort ist Gesetz,
Erklärungen folgen selten. Sein Konterfei findet man über Hauseingängen, in
Kunstmuseen und auf Wodkaflaschen überall in Turkmenistan, das in etwa die Größe
Spaniens, aber nur fünf Millionen Einwohner, hat. Lässig auf den Ellbogen
gestützt, mit protzigen Goldringen am Finger, lächelt Nijasow von jeder Ecke
seinem Volk entgegen. Vor einigen Jahren hat er sich den Namen „Turkmenbaschi”,
„Führer aller Turkmenen”, gegeben. Weitere Attribute wie „der Große” und der
„ewige Führer” sind seither dazugekommen. Die turkmenische Propagandamaschinerie
spart weder an Parolen noch an Symbolik. „Ein Volk, ein Vaterland, ein
Turkmenbaschi” steht auf Dachfirsten, öffentlichen Verkehrsmitteln und
Fabriktoren geschrieben, dazu die Losungen: „Das 21. Jahrhundert ist das goldene
Jahrhundert der Turkmenen” oder „Der ewige Führer weiß den Weg”.
Stürmischer Applaus an hohen Staatsfeiertagen
Überall, wo der Turkmenbaschi öffentlich in Erscheinung tritt, werden pompöse
Massenaufläufe inszeniert. Zur Eröffnung neuer Ministerialbauten und
Krankenhäuser verfrachtet man ganze Schulen und Betriebsbelegschaften. Wenn der
Präsident in seiner Mercedes-Limousine vorfährt, stehen Tausende Spalier und
jubeln ihm wie einem Sonnenkönig zu. Vor Ehrfurcht und Aufregung zitternde
Beamte präsentieren dann die neuen Errungenschaften des vorwärts strebenden
Turkmenistan. An hohen Staatsfeiertagen füllt sich das riesige olympische
Stadion Aschgabats bis auf den letzten Platz. Auf dem Rasen tanzen Hunderte
Kinder zu Ehren des großen Führers traditionelle Tänze, während auf den Rängen
die Massen stürmischen Applaus spenden.
Wer dem Personenkult entkommen will, hat es nicht leicht. Goldene Statuen des
Führers schmücken alle zentralen Plätze. Eine freie Presse gibt es schon lange
nicht mehr, und das staatliche Fernsehen übt sich in stundenlangen Lobpreisungen
des Präsidenten. Das einzige Fenster zur Außenwelt öffnen die unzähligen
Satellitenantennen, die bevorzugt russische Sendungen in nahezu jede
turkmenische Wohnung übertragen.
Nomadenmentalität
Warum sich die meisten Menschen in diesem seltsamen Land trotzdem wohl
fühlen, weiß Jewgeni Smirnow, der in einem Gastronomieunternehmen beschäftigt
ist. „Die Turkmenen waren teilweise bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts Nomaden,
die mit ihrem Vieh durch die kargen Wüsten und Halbwüsten zogen. Sie lebten von
dem wenigen, das die Natur hergab. Diese Mentalität hat sich in gewisser Weise
bis heute erhalten”, glaubt der 41-jährige Moskauer, der sich in Turkmenistan
eine neue Existenz aufgebaut hat. Die Menschen bräuchten nicht viel und seien
ziemlich leicht zufrieden zu stellen. Zum Beispiel mit kostenlosem Gas, Wasser
und Elektrizität. Und dann erst die Spritpreise. „Für 30.000 Manat, etwa einen
Euro, kann man 100 Liter Diesel oder 75 Liter Normalbenzin tanken.”
Katja, Jewgenis Frau, sieht es ähnlich. Der wirtschaftliche Einbruch, der in den
meisten anderen ehemaligen Sowjetrepubliken eine systematische Verarmung der
Bevölkerung verursachte, habe in Turkmenistan nicht stattgefunden. Die Einkommen
seien niedrig, aber ausreichend, um eine Familie zu ernähren. Das gleiche gälte
für die staatliche Unterstützung älterer Menschen. „Meine Eltern zum Beispiel,
was brauchen sie denn? Eine stabile Rente, die sie regelmäßig an die Haustür
gebracht bekommen, bezahlbare Lebensmittel, und dass der Fernseher läuft.” Dies
alles, so Katja, könne dieser Staat leisten. Mit allem was darüber hinausgehe,
besonders Bildung, sehe es schlechter aus. Sie könne deshalb auch jene jungen
Leute verstehen, die einfach weg wollen.
Russische Staatsbürgerschaft als Ausweg
Bildung, das heißt im heutigen Turkmenistan in erster Linie Kenntnis der Werke
Turkmenbaschis. Der erste Band der Ruhnama, eines vom Präsidenten verfassten
Traktats, ist mittlerweile zu einer Art zweiter Koran und Universallehrbuch
aufgestiegen. In ihm werden so genannte „turkmenische Werte”, die vermeintliche
ehrwürdige Vergangenheit und goldene Zukunft der Turkmenen beschworen. Für all
jene, die eine Einstellung im Staatsdienst anstreben, sowie Schüler und
Studenten ist die Ruhnama zur Pflichtlektüre geworden. Das Lehrniveau an
Universitäten hat hingegen seit der Unabhängigkeit erheblich nachgelassen. Alle
höheren Bildungseinrichtungen außerhalb der Hauptstadt wurden geschlossen,
Tausende Lehrer entlassen. Auslandsaufenthalte jeder Art werden von den
turkmenischen Behörden konsequent unterbunden. Für die Ausreise benötigt jeder
Bürger offiziell ein Visum. In Russland oder anderswo erlangte Studienabschlüsse
werden zudem seit einiger Zeit nicht mehr anerkannt.
„Wir”, so erzählt Jewgeni, „haben Glück gehabt. Unser Diplom aus Moskauer Zeiten
fällt nicht unter diese Regelung. Außerdem haben wir gerade noch rechtzeitig die
zweite (russische) Staatsbürgerschaft beantragt.” Optimistische Stimmen hört man
auf den Straßen Aschgabats derweil ziemlich häufig. Auch der Taxifahrer Anar
Hussejnow, früher Eisenbahnschaffner, verliert kaum ein schlechtes Wort über die
derzeitige Lage im Land, als wir durch die nächtliche Hauptstadt fahren. In
Turkmenistan herrsche Stabilität, die Kriminalität sei gering. „Ich könnte euch
jetzt hier am Unabhängigkeitspark rauslassen, und ihr würdet sicher und
unbeschadet nach Hause laufen können”, beteuert er und fügt hinzu, dass vieles,
was zum Beispiel im russischen Fernsehen über Turkmenistan gebracht werde, nicht
ganz der Wahrheit entspreche. Angeblich seien bei uns viele Krankenhäuser
geschlossen und sämtliche Ärzte durch Soldaten ersetzt worden. „Vielleicht”, so
Anar, „stimmt das ja auch. Aber wer geht denn heute noch in staatliche
Kliniken?” In der Hauptstadt und den Provinzzentren gäbe es schon länger
private, meist türkisch finanzierte Gesundheitseinrichtungen, wo die Versorgung
wesentlich besser sei. Der Westen übertreibe es gern mit Negativstories, wenn es
um Turkmenistan geht, glaubt auch Jewgeni. „Doch, dies ist ein Land mit
interessanten und humorvollen Menschen, sowie sagenhaften kulturellen Schätzen.
Ein Land, wo man gut wohnen kann”, sagt er und fügt an: „Wenn man über die
politischen Allüren des Präsidenten nicht allzu oft nachdenkt.”
(Die Namen aller Personen wurden vorsorglich geändert.)
Erschienen
in Deutsche Allgemeine Zeitung Almaty, 27.01.2006
www.deutsche-allgemeine-zeitung.de
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